Rückblick auf die gemeinsame Zuganreise am 01. Mai 2022

Wir haben den 01. Mai 2022 jetzt ein paar Tage sacken lassen und wollen euch kurz in unsere Gedanken zum Tag einweihen. Zu erst einmal wollen wir uns bei allen bedanken, die mit uns nach Zwickau gefahren sind und so Teil einer großen und kraftvollen antifaschistischen Demonstration waren und den Menschen in Zwickau gezeigt haben, dass sie nicht allein sind. Wir waren sehr erfreut über die vielen Menschen die sich am Dresdener Zugtreffpunkt versammelt haben.

Zum Einstieg eine Selbstkritik. Wir wissen um die Gefahren, die bei einer Zuganreise zu Naziaufmärschen bestehen und haben diese auch immer im Hinterkopf. So haben wir uns Regeln und Abläufe für Zugfahrten gegeben, um eine sichere An- und Abreise für alle zu gewährleisten. Leider haben wir die Gefahr am 01. Mai nicht so ernst genommen wie wir sie hätten müssen und haben die Basics vernachlässigt. Sorry, aber darüber ärgert sich keine*r mehr als wir.

Wir haben mit vielen Menschen gesprochen, nicht nur auf dem Nachbereitungstreffen, und auch aus anderen Städten Gedächtnisprotokolle eingeholt. Dennoch bitten wir zu berücksichtigen, dass folgender Text keinen Anspruch auf Vollständigkeit besitzen kann.

Was war passiert? Am 01. Mai 2022 fuhren wir gemeinsam mit vielen Antifaschist*innen zur Gegendemonstration nach Zwickau. Dort wollte die neonazistische Kleinstpartei “III. Weg” aufmarschieren. Treffpunkt und Abfahrt verliefen unspektakulär. Keine Cops die sinnlos stressten und hier und da wurde Faschos der Weg in den Zug versperrt oder der Weg aus dem Zug gezeigt. So mussten unter anderem die Neonazis Felix Friebel und Matze Münnich einen der späteren Züge nach Zwickau nehmen.

In Chemnitz angekommen wurde recht schnell klar, dass es ungemütlich werden wird. So warteten circa 80 Neonazis am Bahngleis. Auf uns wirkte der Angriff nicht wirklich koordiniert. Eher machten einige Faschos einen überraschten Eindruck, auch ob der resoluten, antifaschistischen Gegenwehr. Dennoch hatten es ein paar Faschos in den Zug geschafft, welche umgehend anfingen die Reisenden anzugreifen. Hier zeigte sich wieder einmal, dass menschenverachtende Weltbild des III. Weges und anderer Rechter, aber auch, wie wichtig es ist diesen die Stirn zu bieten. Wenn nötig, prophylaktisch. Doch trotz der Brutalität der Faschos wurden diese aber recht schnell wieder des Zuges verwiesen. Hiernach sah der ein oder andere Nazi nicht mehr ganz so motiviert und glücklich aus. An den anderen Türen wurden die Angreifer trotz der großen Brutalität erfolgreich auf Distanz gehalten. Nicht auszudenken, was alles hätte passieren können, wenn den Faschos nicht so resolut begegnet worden wäre. Was, wenn sie ohne Gegenwehr auf mögliche Feindbilder im Zug getroffen wären? Im Nachgang muss festgehalten werden, dass, obwohl wir nicht 161% vorbereitet waren und es sehr unschöne Szenen gab, wir gut zusammen “funktioniert” und uns ergänzt haben. Wer nicht direkt mit dem Zurückdrängen der Faschos beschäftigt war, zog sich zurück und hat supportet und/oder sich und andere geschützt. Unbeteiligte Reisende wurden so gut es ging aus der Schusslinie gebracht, im wahrsten Sinne des Wortes. So wurde uns berichtet, dass ein PoC mit Rollator sicher aus dem Zug begleitet wurde, während die Faschos schon anfingen anzugreifen. Auch eine junge Familie mit Kleinkind wurde geschützt und versucht emotional aufzufangen. Die mitreisenden Sanis waren absolut Spitze. Diese bestätigten, dass es in Chemnitz lediglich kleinere, physische Blessuren gab. Ein großes Danke gilt auch allen, die den Mitreisenden psycho-soziale Hilfe leisteten.

In Glauchau hatten die knapp 40 Nazis wohl mehr Zeit zur Vorbereitung. Hier kam der Angriff unvermittelter. Allerdings waren auch wir jetzt mehr auf der Hut. Auch hier wieder: Fettes Danke an alle Mitreisenden! Auch wenn es hier zu Verletzten im Zug kam, so sind die körperlichen Schäden überschaubar. Viel schlimmer ist, dass viele im Zug (zum Glück) wohl noch nie solch widerlichen Situationen ausgesetzt gewesen sind. Mit Blick auf die Angriffe bleibt zu sagen: Wenn nötig, bitte setzt euch zusammen, sprecht miteinander oder guten Freund*innen um das Erlebte möglichst gut zu verarbeiten!

Widerlich war auch, dass die junge Familie in Glauchau raus musste und sich im erneuten Flaschen- und Steinhagel wiederfand. Welches Ausmaß dieser zweite Angriff hatte, wurde erst klar, als die Cops kopfschüttelnd die Schäden am Zug aufnahm. Aber auch hier bleibt festzuhalten, das wir, als solidarische Reisegesellschaft, diesen Angriff erfolgreich abgewehrt haben.

Alles in allem müssen wir am Ende aber sagen, dass, so unschön die Situationen waren, wir die Angriffe nicht nur solidarisch und erfolgreich abgewehrt haben, sondern die Faschos klar in die Schranken verwiesen wurden. Wir dürfen das Positive im Negativen sehen. So können wir selbstbewusst und empowered aus dem Tag gehen, da wir gezeigt haben, dass man trotz rechter Hegemonie der brutalen rechten (Straßen-)Gewalt etwas entgegensetzen kann. Durch solidarischen und selbstbewussten antifaschistischen Selbstschutz, der weiß was er kann und auf alle Rücksicht nimmt, haben wir alle gezeigt, dass wir keine Cops benötigen um zu regeln. Im Gegenteil!

Auch hat der Tag auch wieder gezeigt, dass es unterschiedliche Erfahrungsschätze und unterschiedlich verteiltes Wissen gibt, um diese ekligen Situationen zu bewältigen. Jede*r kann und will anders mit Gefahrensituationen umgehen und das gilt es zu berücksichtigen. Es ergibt Sinn, wenn in Gefahrensituationen erfahrenere Menschen das Zepter in die Hand nehmen, einen kühlen Kopf bewahren und, wenn nötig, Anweisungen geben. Doch dürfen wir dabei nicht stehen bleiben, wollen wir paternalistischen und autoritären Strukturen vorzubeugen. So müssen wir solche Momente kritisch reflektieren, als Skillshare begreifen und im Nachgang mit allen Beteiligten darüber im Austausch bleiben! Das alles sollte dazu führen, dass künftig mehr Antifaschist*innen selbstbewusst auftreten und einschätzen können, was zu tun und was zu lassen ist und sich selber eine ihnen angemessene Reaktion und Aufgabe in solchen Situationen suchen können. Wie schon erwähnt, hat dies unseres Erachtens an diesem Tag hervorragend funktioniert. Aber macht euch bitte alle bewusst, was ihr euch zutrauen und wie ihr in solchen Situationen supporten könnt! Kein Mensch benötigt im Angesicht der Gefahr sinnlose Einzelaktionen und “Heldentaten”. An diesem Tag haben wir alle harmoniert. Auch wenn auf der Rückfahrt nichts Negatives passierte, so wurde uns gespiegelt, dass sich die Leute sicher fühlten, da alle gemeinsam vorbereitet waren.

Allerdings haben wir auch Kritik. Was uns in den letzten Jahren immer wieder auffällt und negativ aufstößt, ist der Ruf nach der Staatsmacht. Dieser Ruf war auch am 01. Mai wieder mehrfach zu vernehmen. Hört bitte endlich auf damit! Abgesehen davon, dass wir aus Gründen keinen Bock auf die Büttel haben, ist es komplett widersprüchlich, wenn man ständig das Agieren der Polizei kritisiert, dann aber Wasserwerfer gegen Schwurbler und Schlimmeres fordert. Es ist peinlich, wenn der eigene, absolut berechtigte, Bullenhass allenthalben vor sich hergetragen wird, aber aus dem Zug heraus die Bullen angerufen werden. Wir haben keine Lust auf die Cops und wir benötigen sie auch nicht! Ruf halt die Bullen, wenn du ‘nen Versicherungsfall hast. Im Kampf gegen Nazis und andere menschenfeindliche Arschlöcher sind diese keine Hilfe, im Gegenteil. In der aktuellen Konstellation sind sie Teil des Problems und nicht der Lösung. Wir haben am 01. Mai gezeigt, dass wir uns selbst kümmern können. Und die Vergangenheit hat uns immer wieder gezeigt, dass die Cops, wenn überhaupt, einem antifaschistischen Selbstschutz nur im Weg stehen. So sind Rufe wie die der Grünen Jugend Chemnitz nach mehr Polizei nicht nur lächerlich, sondern höchst kontraproduktiv! Was ist die logische Konsequenz dessen? Die Cops, über die man sich permanent beschwert, wenn sie mal wieder ihrem Hass auf Linke freien Lauf lassen, werden uns permanent auf den Füßen stehen. Innenminister Schuster verkündete prompt: “Künftig muss auch auf den An- und Abmarschwegen noch mehr polizeiliche Stärke gezeigt werden.” Für uns heißt das weniger Bewegungsfreiheit und mehr Repression. Danke für nix! Die antifaschistischen Platzverweise in Chemnitz und Glauchau waren nur möglich, weil eben keine Kackbullen da waren.

Weiter müssen wir kritisieren, dass, wenn sich als gemeinsame Zuganreise Zeit- und Treffpunkte für eine sichere Abreise ausgemacht werden, dann sollten sich auch alle bitte dran halten! Wenn die Bullen einen anderen Plan für uns haben, dann ist uns das egal. Es kann nicht sein, das ein großer Teil der Reisenden einfach macht was die Cops sagen und wir uns trennen lassen. Antifaschistischer Selbstschutz funktioniert nur zusammen. Das hat die Anreise an diesem Tag gezeigt und dies hätten auch alle bei der Abreise berücksichtigen müssen!

Am Ende des Tages blicken wir allerdings auf einen selbstbewussten, erfolgreichen antifaschistischen 1. Mai zurück. Wir möchten uns noch ein mal herzlich bei den mitgereisten Demosanis und Antifaschist*innen bedanken und hoffen, dass es allen anderen Mitgereisten gut geht und ihr die Zuganreise verarbeiten könnt. Falls ihr merkt, dass euch der Tag noch immer belastet oder ihr Support benötigt die Ereignisse zu verdauen, könnt ihr euch an Out of Action¹ oder die RAA² wenden! Bitte behaltet auch im Hinterkopf, dass die Bullen Videomaterial der Zugkameras auswerten und eventuell Genoss*innen darauf wieder erkennen.
Falls ihr also einen Brief zur Vorladung erhaltet, egal ob als Zeug*in oder Beschuldigte*r, bleibt ruhig und geht nicht hin! Erscheinen müsst ihr erst, wenn die Staatsanwaltschaft euch kontaktiert. Was auch kommt, wendet euch an den Ermittlungsausschuss Dresden³ und macht keine Aussage bei den Bullen!

Was bleibt: Der 01. Mai 2022 hat wieder einmal gezeigt, dass gerade an diesem Tag mit rechten Angriffen gerechnet werden muss. So kam es die letzten Jahre immer wieder und bundesweit zu Übergriffen und Gewalt. ABER: Lasst euch nicht klein kriegen! Habt keine Angst vor der nächsten Demo, Aktion oder Zuganreise – im Gegenteil! Wir haben gezeigt, dass wir gemeinsam und solidarisch unschlagbar sind. Fettes Danke euch allen, bis zum nächsten Mal!


¹ https://outofaction.blackblogs.org/?page_id=396
² https://www.raa-sachsen.de/support
³ https://ea-dresden.site36.net/kontakt/

Quelle Beitragsbild (Hintergrund): Protestfotografie Dresden

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